Warum halten Menschen Gutachten wie die MPU für einen Idiotentest?
Die Mehrheit hat ein positives Bild von der MPU
2013 hat der VdTÜV eine Umfrage zum Image der MPU beim Umfragezentrum Bonn in Auftrag gegeben. Eine repräsentative Stichprobe von 501 Personen wurden telefonisch zum Thema "Verkehrssicherheit" befragt. Die Mehrheit (79 Prozent) findet es gut, wenn vor Wiedererteilung der Fahrerlaubnis die Betroffenen daraufhin untersucht werden, ob sie ihre Einstellungen geändert haben.
Alters und Geschlechterunterschiede:
Altersunterschied: Bei den jüngeren Studienteilnehmern (18-29) waren 94 Prozent dafür, bei den älteren "nur" 80 Prozent.
Geschlechterunterschied: Männer befürworteten die MPU mit 85 Prozent und Frauen mit 92 Prozent.
Konzeption Idiotentest
Dennoch erleben Menschen die Begutachtung ihrer Fahreignung als Demütigung. Auf dieser Seite wird diesem Erleben etwas nachgegangen.
Wer ist der Idiot?
Einerseits ist das Konzept Idiotentest ein Mythos, andererseits beschreibt es eine innere Wirklichkeit.
Schwere Vorwürfe in Richtung Fahrerlaubnisbehörde
Die Mitarbeiter aus der Abteilung der Führerscheinstelle in Berlin, die für die Anträge auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis verantwortlich sind, sehen sich schweren Vorwürfen ausgesetzt. In fünfzig Prozent der Fälle werden sie beschuldigt, die berufliche Existenz der Betroffenen zu vernichten. Es gibt daher einen hohen Personalwechsel, bzw. eine hohe Fluktuation bei den Abteilungen, die mit der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis beschäftigt sind.
Unauslöschlicher Irrtum
Man könnte meinen, dass Menschen die Welt so wahrnehmen wie sie tatsächlich ist (Empirismus). Man könnte sogar glauben die menschliche Wahrnehmung käme einer Fotokamera gleich. Wahrnehmungstäuschungen geben ein beeindruckendes Beispiel davon, dass dieses "Kameramodell der Wahrnehmung" unsere Wahrnehmung nicht vollständig erklären kann.
Man sollte vor allem sehr darauf achten, was der Gegenstand der Wahrnehmung ist:
ein unbelebtes Objekt (Gegenstand der Naturwissenschaft) oder
ein belebtes Objekt (Gegenstand der Sozialwissenschaft).
Wenn es sich um ein belebtes Objekt dreht (z.B. psychologischer Gutachter bei der MPU), dann geht es um die sogenannte "soziale Wahrnehmung". Bei der sozialen Wahrnehmung spielt die Subjektivität des Subjekts, bzw. des Beobachters, eine große Rolle. Volksweisheiten drücken dies aus:
In Deutschland sagt man zum Beispiel: "Wo das Auge nicht sehen will, helfen weder Licht noch Brille!"
In Japan sagt man: "in den Augen der Verliebten sind selbst Pockennarben Lachgrübchen".
Die wohl schönste Redewendung findet sich aber in Dänemark. Sie lautet: "Die Liebe ist einäugig, der Hass ist blind!"
Die menschliche Wahrnehmung ist immer eine Mischung aus sensorischen Daten, dessen was die Sinnesorgane den Menschen vermitteln, und Annahmen darüber was es zu sehen gibt (animistische Deutungen, unbewußte Phantasien über wichtige Bezugspersonen und sich selbst). Der eigene Blickwinkel auf die Welt lässt für jeden Menschen die Welt anders aussehen. Jeder einzelne Mensch legt eine individuelle "unsichtbare Bedeutungsdimension" über die anflutenden sensorischen Daten. In dieser subjektiven Bedeutungsdimension drückt sich sein Subjektivität und seine jeweils aktiven unbewußten Phantasien aus.
Bottom-up- und Top-down - Prozess
Wie oben gesagt, ist Wahrnehmung immer eine Mischung aus sensorischen Daten (Bottom-up Verarbeitung) und Erwartungen (Top-down Verarbeitung). Die Top-down-Verarbeitung beteiligt unsere Vorerfahrungen, unser Wissen, unsere Motive und den kulturellen Hintergrund bei der Wahrnehmung der Welt. Und manchmal spielen uns unsere eigenen Motive einen Streich.
Das Monster von Loch Ness
Wenn wir mit der Erwartung nach Schottland fahren, dass es in Loch Ness ein urzeitliches Lebewesen zu sehen gibt und und wir auf dem See etwas sehen das sich bewegt, dann werden die sensorischen Daten von uns eher zu "Nessie" zusammengebaut. Sofern wir an die Sage glauben, dass in Loch Ness ein urzeitliches Tier überlebt hat, spielt uns dieses Vorwissen einen Streich (animistische Deutung von Denkprozessen wie "Vorwissen", siehe oben). Die Sage von "Nessie" wird also immer wieder Augenzeugen schaffen, die überzeugt sind, dass sie "etwas" auf dem See gesehen haben.
Wie der Mythos vom Idiotentest entsteht
Jerome Bruner (in der experimentellen Psychologie als "Sozialpsychologe" einzuordnen) hat in den Jahren 1951 - 1957 seine Theorie der sozialen Wahrnehmung aufgestellt. Er hebt die Rolle hervor die Erwartungen bzw. Hypothesen bei der Wahrnehmung anderer Menschen spielt. Er sagt:
Starke Hypothesen werden mit größerer Wahrscheinlichkeit aktiviert als schwache.
Je stärker sie sind, desto geringer ist die zur Bestätigung erforderliche Menge unterstützender Reizinformation und
desto größer muss die Menge widersprechender Reizinformation sein, um sie zu widerlegen.
Bezieht man die Theorie der sozialen Wahrnehmung auf die MPU, dann kann man sagen: "Je mehr ein Mensch davon überzeugt ist, dass er bei der MPU demontiert wird, desto geringer ist die zur Bestätigung erforderliche Menge an unterstützenden Reizinformationen!" Der Witz ist nun, dass es sowieso viel mehr negativen Informationen über die MPU im Internet gibt.
Defizit an positiven Informationen
Menschen, die das Gutachten für eine lange Zeit in ihrem Leben nicht bewältigen, fühlen sich unter Umständen dazu berufen, der Öffentlichkeit darüber zu berichten was für ein unfaires System die Fahreignungsbegutachtung in Deutschland eigentlich sei. Menschen, die ihr Gutachten aber gut bewältigen konnten, fühlen sich hingegen nicht im gleichen Maße dazu berufen, der Öffentlichkeit mitzuteilen was für ein faires System die Sache doch ist.
Anwendung von Bruner auf das Idiotentestkonzept
Man kann Bruners Theorie der sozialen Wahrnehmung auch auf die Wahrnehmung der MPU anwenden. Starke Hypothesen brauchen wenig bestätigende Reizinformation, um bestätigt zu werden. Es reichen kleine mehrdeutige Ereignisse und schon scheint die starke Hypothese bestätigt. Mit anderen Worten: Dieselben psychischen Mechanismen, die einen Besucher von Loch Ness ein urzeitliches Monster "sehen" lassen, könnten den Besucher einer MPU-Stelle ein urzeitliches Monster aus der Psychologie sehen lassen.
Tür-Test
Ein MPU Kandidat kommt zur Tür herein. Der psychologische Gutachter sagt zu ihm, dass er die Tür schließen soll. Der Kandidat hatte aber schon die Tür geschlossen. Er verstand die Äußerung des Gutachters als einen Test. Nach Ende des Gutachtens berichtet er einem Freund davon wie er getestet wurde: "Man wird bei der MPU gefragt, ob man eine geschlossene Tür schließen kann. Wenn man versucht die Tür zu schließen, dann ist man durchgefallen!"
Was der Betroffene überhaupt nicht in Erwägung zieht ist, dass sich der Psychologe einfach getäuscht haben könnte. Der Psychologe dachte vielleicht, dass die Tür noch offen sei. Dieser Gedanke wird nicht in Erwägung gezogen. Der Klient ist in einer ängstlichen Stimmung. Er erwartet etwas Schlimmes. Banale Alltagsbegebenheiten werden in dieser Stimmung mit einer besonderer Bedeutung ausgestattet.
Stift-Test
Ein Gutachter lässt einen Stift fallen. Er schaut auf dem Boden und hebt ihn wieder auf. Der Kandidat der Begutachtung ist in einer ängstlichen Stimmung und Erwartung. Er verleiht dieser banalen Begebenheit eine besondere Bedeutung. Es ist ein Test, dass der Psychologe den Stift fallen lässt. Er glaubt, wenn er diesen Stift aufhoben hätte, dann wäre er bei dem Gutachten durchgefallen.
Das besondere an diesen beiden Beispielen ist, dass der MPU Kandidat sein Erleben für die faktische Wirklichkeit hält. Er fragt nicht, ob es vielleicht gar nicht aus Absicht geschah. In dem Sinne trägt diese Art von MPU Kandidat dann die Dinge nach außen. Der Teil der Freunde, die in derselben ängstlichen Stimmung sind, wird diesen Berichten glauben schenken und daran "weiter bauen" (Folie a deux).
Allmacht der Phantasie in sozialen Situationen
Projektionen ("Erwartungen", "Hypothesen") können so stark werden, dass sich das äußere Objekt im Sinne der Erwartung verhält und aus Sicht des Subjekts nicht mehr ein unabhängiger Mensch ist, sondern mehr ein Figur aus der Innenwelt des Subjekts. Man könnte hier sagen, dass die Erwartungen in das Objekt projiziert werden und nicht nur auf das Objekt. Hinshelwood sagt dazu: "Die realen Eigenschaften des Objekts sind wichtig im Hinblick darauf, ob sie den Erwartungen des Subjekts entsprechen und so beschaffen sind, dass sie sich den Wahrnehmung des Subjekts angleichen oder sich ihnen widersetzen kann."(vgl. Robert Hinshelwood, Wörterbuch der kleinianischen Psychoanalyse, Seite 318).
In der kleinianischen Psychonalyse würde man hier von der Allmacht der Phantasie in sozialen Situationen, bzw. von einer Projektiver Identifizierung", sprechen. Man kann sich fragen, ob das Subjekt (der Beobachter) sein Objekt (seine Bezugsperson, z.B. den Gutachter bei der MPU), immer so sieht wie sie sich ihm subjektiv präsentieren, oder ob er andere Objekte, so sehen kann wie sie unter einem objektiven Blickwinkel zu sehen wären.
Ob Erwartungen tatsächlich das Objekt - den anderen Menschen - verändern könnten wurde in der experimentellen Psychologie von Robert Rosenthal erforscht:
Rosenthal-Effekt
Sich selbst erfüllende Prophezeiung
Versuchsleiter-Erwartungs-Effekt
Pygmalion-Effekt
Das besondere ist, dass es dem Subjekt, dem Beobachter, nicht auffällt, dass es selbst derjenige war, der das Objekt verändert hat.
Teufelskreis
Das Wort "Idiotentest" beschreibt eine innere Haltung, die dem Erfolg bei der Fahreignungsbegutachtung im Wege steht. Wenn aus der Sicht des Klienten irgendwer der Idiot ist, dann ist keine konstruktive Beziehung möglich. Beide Seiten - Gutachter und Kandidat - werden demontiert. Wenn die beiden Akteure nicht kommunizieren können, dann gibt es keine Daten über die der Gutachter eine Entscheidung fällen könnte, bzw. die Unmöglichkeit der Kommunikation - die Blockade, das Schweigen - ist dann die Information, über die der Gutachter eine Entscheidung zu fällen hat. In einem Gutachten in dem der Klient im Grunde keine Daten liefert stellt das Schweigen eben die Daten dar. Die Antwort lautet dann: "Die Person konnte nicht begutachtet werden! Wir können seine Fahreignung nicht beurteilen!"
Idiotentest, warum halten Menschen Gutachten wie die MPU dafür? Einfluss unbewusster Erwartungen auf die Wahrnehmung des Gutachters